Neulich, in Brüssel

Klärt über den Stand der Griechischen Schuldenkrise auf - Jeroen Dijsselbloem © European Union 2017 - EP


Seit September 2014 tagen die 751 Abgeordneten des 9. Europäischen Parlament in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen meistens in Straßburg und manchmal in Brüssel und debattieren... ja, was denn eigentlich? Gurkenkrümmung und Pizzadurchmesser? Unter anderem. Aber auch richtungsweisende Entscheidungen für die Zukunft EU. Grund genug, einmal hinzuschauen. Was haben die Parlamentarier diesmal wieder angestellt?


Zur Eröffnung der Plenarsitzung vom 26.-27.04.17 würdigte Parlamentspräsident Antonio Tajani einen Aktionstag, der weltweit junge Frauen und Mädchen zu einer Karriere IT- und Kommunikationsbranche animieren soll: "Weltweit besetzen Frauen nur 24% der Arbeitsplätze in Wissenschaft und Technik. [...]Die weibliche Weltbevölkerung mit Zugang zum Internet ist niedriger um 12% als die der Männer, und dieser Prozentsatz hat leider in den letzten Jahren zugenommen. Ich hoffe, dass der Girls in ICT-Day morgen als Ausgangspunkt und Inspiration dienen kann, zusammen zu arbeiten, um jungen Menschen auf der ganzen Welt eine bessere Zukunft zu ermöglichen.". Im Anschluss gab er die Sitzung frei, und die 650 anwesenden Delegierten debattierten und votierten zu folgenden Themen:

  • Jeroen Dijsselbloem, Präsident der Eurogruppe, informierte die Abgeordneten des EU-Parlaments über den aktuellen Stand der Konsolidierungsmaßnahmen für Griechenland. Er zeigte sich zufrieden über Steuer-, Renten- und Arbeitsmarktreformen sowie über die fortschreitende Privatisierung verlustträchtigen Staatseigentums. Nachdem der IWF kürzlich seine Forderung nach einem Schuldenschnitt als Bedingung für weitere Hilfszahlungen erneuert hatte, hoffen EU-Verhandlungsführer dennoch, diesen durch Einigungen mit den Gläubigern Griechenlands umgehen zu können. Als angestrebten Zeitraum für den Abschluss der Verhandlungen nannte Dijsselbloem Ende Mai.

  • Zugleich bestätigte Dijsselbloem die Pläne der Währungsunion, den Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM) und die European Financial Stability Facility (EFSF) zu einem Europäischen Währungsfond (EWF) nach Vorbild des IWF umzuwandeln. Die Beiden als Reaktion auf Finanz- und Eurokrise gegründeten Einrichtungen hätten der Union wichtige Dienste erwiesen, und die Erfahrungen und Erkenntnisse der Institutionen sollten erhalten und im EWF gebündelt werden, um in Zukunft früher und effektiver auf aufkommende Krisen zu reagieren. Jährliche Berichte des EWF sollen in Zukunft umfassender über die makroökonomische Lage der einzelnen EU-Staaten informieren, und so auch langfristig für größere Stabilität und mehr Vertrauen unter den Mitgliedsländern sorgen.

  • Die Delegierten beschlossen eine Entlastung der Kommission für den Haushalt 2015, und bestätigten ebenfalls die eigenen Ausgaben für das Jahr. Die Budgets seien Regelkonform gehandhabt worden. Vertagt wurde selbige Entlastung für den Europäischen Rat, sowie für den nicht zu verwechselnden Rat der Europäischen Union. Diese hatten nicht die erforderlichen Zahlen vorgelegt, um die Haushaltsführung bewerten zu können. Laut dem Europäischen Rechnungshof  (EuRH) sank die Quote der Fehlzahlungen von 4,4% in 2014 auf 3,8% in 2015. Erst unter einer Quote von 2% bezeichnet der Rechnungshof Zahlungen als "fehlerfrei".

  • Auch die Handhabung des von 2007 bis 2013 betriebene European Structural Investment (ESI) Programm wurde kritisiert. Ende 2015 standen laut EuRH 10% der zugewiesenen 446,2 Mia. € noch aus. Diese Rückstände seien unter anderem auf die zu starke Fragmentierung der einzelnen EU-Budgets zurückzuführen, welche die Ausgaben auf die EU-Organe, Mitgliedsstaaten, und zahllose Fonds, Stiftungen, Bürgschaften und andere Institutionen verteilt. Die Ansammlung der Rückstände behindere die Umsetzung des Haushaltsplans von 2014-2020, und es sei daher notwendig, die Ausgabenpraxis der EU zu überdenken, um künftig Budget-Prozesse klarer, einfacher und nachvollziehbarer zu gestalten

  • Der Ungarische Gesetzesvorstoß, der unter anderem die Arbeit von ausländischen Nicht-Regierung-Organisationen im Land einschränken soll, und nach Ansicht von Beobachtern die rechtliche Stellung von Asylbewerbern verschlechtert, wurde heftig kritisiert. Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans erinnerte den anwesenden ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban daran, dass auch Ungarn sich als EU-Mitglied an demokratische und humanistische Grundsätze zu halten habe. Kritiker werfen Orban vor, mit dem Gesetz die Schließung der Central European University (CEU), mitfinanziert durch den kontroversen ungarisch-stämmigen US-Milliardär George Soros, erreichen zu wollen. Orban bestritt dies und verteidigte eine laufende Befragung von Wähler über Ungarns Verhältnis zur EU unter dem keinesfalls suggestiven Titel "Let's Stop Brussels" als "demokratisches Instrument".

  • Eine EU-Resolution für die Befreiung politischer Gefangener in Venezuela wurde Mehrheitlich angenommen. 450 Abgeordnete Stimmten dafür, 35 dagegen, 100 enthielten sich. Mangelnde Gewaltenteilung, Korruption und Polizeigewalt gegen Demonstranten seien für alle Beobachter Grund zur Besorgnis. Des Weiteren appellierte das Parlament an die venezolanische Regierung, den Weg für demokratische Neuwahlen frei zu machen. Lediglich Delegierte der Europäischen Linken sprachen sich gegen den Inhalt der Resolution aus.

  • Mediale Aufmerksamkeit in Deutschland erhielt auch die Rüge für Ex-Parlamentspräsident und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, die das Parlament mehrheitlich  aussprach. Schulz soll während seiner Amtszeit seinen Mitarbeitern unrechtmäßige Vorteile verschafft und etwa seinen Pressesprecher Markus Engels dauerhaft mit Bezug von Dienstreisenzuschüssen außerhalb von Brüssel beschäftigt haben. Engels ist nun Wahlkampfmanager für Schulz. Die derzeitige Parlamentsspitze ist nun aufgefordert, unter Schulz beschlossene Regelungen zur Mitarbeiterbezahlung durch Parlamentarier neu zu bewerten.
Offen ist derweil noch der künftige Kurs der EU gegenüber der Türkei. Nach dem Verfassungsreferundum, welches die Kompetenzen von Staatspräsident Erdogan erheblich erweitert hat, argumentierten einige Abgeordnete für einen Abbruch der Verhandlungen über einen EU-Beitritt und eine eindeutigere Position gegen die Unterdrückung der Opposition in der Türkei. Erdogan selbst stellte ein Referendum über die Beitrittsverhandlungen in der Türkei in Aussicht. Sollte ein weiteres mögliches Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei gelingen, sähen viele dies wohl als endgültiges Aus der Verhandlungen 



Die nächste Plenarsitzung des Europäischen Parlaments eröffnet am 15. Mai in Straßburg.
 
 


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