faktoid. Wahlrechner 2017 v1.0

Zur Bundestagswahl 2017 präsentiert faktoid. die Version 1.0 des faktoid.-Wahlrechners. Ziel ist es, ein aktuelles Stimmungsbild unter den Wählern darzustellen, Trends in den Umfragen sichtbar und konkrete, mögliche Wahlausgänge greifbar zu machen.


Gleich vorab muss klargestellt werden, dass damit nicht der Anspruch erhoben wird, tatsächlich das Wahlergebnis am 24. September vorherzusagen. Vielmehr zielt das Modell darauf ab, realistische Möglichkeiten aufzuzeigen, die unter Einbezug relativ simpler Annahmen eintreten könnten.

Als Basis dienen die öffentlich zugänglichen Umfragen von 9 Instituten (Allensbach, Emnid, Forsa, Forschungsgruppe Wahlen, GMS, Infratest dimap, INSA, Ipsos, YouGov), die fortlaufend von wahlrecht.de bezogen werden. Diese werden nach Datum der Veröffentlichung gewichtet und aggregiert. Der daraus resultierende Wert bildet das zentrale Element des Modells. Die Institute räumen ihren Ergebnissen, je nach Stimmenanteil der Partei (p), einen Messfehler zwischen 1,5% und 3% ein. Das ist höher als die zu erwartende Standardabweichung (σ) bei etwa 1000 Befragten (0.9%<>1,5%), und reflektiert wohl auch die Unsicherheit, die aus der demographischen Gewichtung der Befragten durch die Institute entsteht.

Approximation des Messfehlers
Um diese Unsicherheit im Modell wiederzugeben, wird der Messfehler durch die nebenstehenden Formel approximiert. Somit kann für die einzelnen Parteien ein Unsicherheitsintervall angegeben werden, in welchem sich mit hoher Wahrscheinlichkeit (±1σ=66%, ±2σ=97%) das "tatsächliche" Ergebnis einer Bundestagswahl befände. Bei Betrachtung dieser Werte sollte stets bedacht werden, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt, keine Prognose. Die Werte beantworten die Frage, wie wahrscheinlich ein bestimmtes Ereignis bei einer heute spontan abgehaltenen Bundestagswahl wäre.

Seit 2013 werden die Bundestagsmandate zunächst nach dem Sainte-Laguë-Verfahren vergeben. Zu den zunächst 598 offenen Mandaten kommen eventuelle Überhangmandate, die entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate per Erststimme erhält, als ihr nach Zweitstimmen zustehen. Ebenfalls seit 2013 werden diese Überhangmandate durch zusätzliche Ausgleichsmandate aufgewogen um das ursprüngliche, durch Zweitstimmen bestimmte Kräfteverhältnis wieder herzustellen. Da somit die endgültige Anzahl der Bundestagssitze noch nicht feststeht, und für die Bundestagswahl das Sainte-Laguë-Verfahren zudem auf die Ergebnisse jedes Bundeslandes separat angewandt wird, ist eine exakte Folgerung auf eine eventuell entstehende Sitzverteilung nicht möglich.

Da allerdings durch die Ausgleichsmandate eine relative Übereinstimmung mit dem Zweitstimmenanteil sichergestellt wird, kann bereits durch ein vereinfachtes Verfahren eine funktionale Aussage über eine mögliche Zusammensetzung des Bundestages getroffen werden. Anhand der folgenden Formel können so die entsprechenden Mandate in einem theoretischen, fest auf 598 Mandate begrenzten Bundestag bestimmt werden. Die Stimmen der betreffenden Partei werden mit der Anzahl der zu vergebenden Sitze multipliziert und durch die Gesamtanzahl der Stimmen für alle Parteien, welche mehr als 5% der Stimmen erhalten haben, dividiert. Die relative Sitzverteilung der einzelnen Parteien unterscheidet sich dadurch von einer gänzlich nach dem Sainte-Laguë-Verfahren durchgeführten Verteilung um <0,2 Prozentpunkte.


Um den Kanzler zu stellen muss eine Partei oder Koalition 50% +1 der Sitze, also 300 Mandate auf sich vereinen. Zur Bestimmung der aktuellen Aussichten auf eine mögliche Regierungskonstellation wird der approximierte Messfehler der aggregierten Umfragen als σ verwendet, und anhand einer Normalverteilungstabelle ein prozentualer Wert wiedergegeben. Dieser reflektiert die Wahrscheinlichkeit, mit der die betreffende Partei oder Koalition derzeit eine regierungsbildende Mehrheit erreichen könnte. Jedoch ist dieser Wert wiederum abhängig vom ursprünglichen Messfehler der Partei(en), und wird deshalb als Unsicherheitsintervall angegeben.

Das zentrale Problem des Modells ist ebenjene Unsicherheit. Sie zu beziffern ist das Schlüsselelement, welches die Aussagekraft der Ergebnisse bestimmt. Jeder Schritt erfordert ein aufmerksames Abwägen der gewinnbaren Erkenntnis entgegen eventuellem Genauigkeitsverlust. Auch ist es verlockend, in den Werten Vorhersagen zu erkennen. Statt der Zukunft bezieht sich das Modells aber lediglich auf die Vergangenheit, werden doch auch Umfragen bereits Tage vor der Veröffentlichen durchgeführt.

Andere Unbekannte fallen gänzlich aus dem Gewicht. So werden etwa keinerlei Demographische Faktoren mit einbezogen, nur in der Gewichtung der Umfragen durch die Institute. Dabei könnten verschieden Entwicklungen wie die Wahlbeteiligung bestimmter sozialer Gruppen oder größere Wählerbewegungen in Richtung mehrerer Parteien eines Spektrums, und systemische Umfragefehler, wie etwa eine uneinheitliche Fragestellung oder auch  z.B. der (nicht bewiesene) Scheue-Wähler-Effekt, wonach Wähler bestimmter, meist polarisierender Parteien dies bei Umfragen nicht angeben, nicht, zu schwach oder zu stark berücksichtigt werden.

Nicht zuletzt fußt das Modell auf einer Reihe unbelegter Prämissen, deren Richtigkeit wohl auch nicht bewiesen werden kann. Insbesondere die Approximation des Messfehlers und dessen Interpretation als σ, sowie die Annahme einer Normalverteilung für die errechnete Wahrscheinlichkeit von Wahlausgängen sind diskutable Vorgaben. Wenn auch lang nicht perfekt bestehen sie dennoch den grundlegenden Test, den entstehenden Präzisionsverlust durch einen Zugewinn an Information auszugleichen.

Zwei Dinge sollten immer Bedacht werden:
  • Auch ein unwahrscheinliches Ereignis kann eintreten. Gerade nach dem Brexit-Votum und der Trump-Wahl in den USA steht die Öffentlichkeit Umfragen kritischer gegenüber. Dabei waren diese Ereignisse laut Umfragen keinesfalls unmöglich, sondern lediglich sehr bzw. mittelmäßig Unwahrscheinlich 
  • Selbstverständlich sind alle Angaben zu einem gewissen Grad spekulativ, und taugen nur bedingt etwa als Wetthilfe oder Kampagnenrecherche. Dennoch vermag die Bezifferung konkreter Möglichkeiten, für Beobachter Stand und Entwicklung der politischen Stimmung in der Bundesrepublik greifbar zu machen.

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